Die ersten drei Jahre als Steuerberater

Ein Erfahrungsbericht

Das Steuerberaterexamen gilt als eines der anspruchsvollsten in Deutschland. So müssen unzählige Stunden Fleiß, viel Geld und zahllose Nerven investiert werden, um am Ende dieser langen Reise eine Bestellungsurkunde überreicht zu bekommen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sollte sich der frisch bestellte Steuerberater ernsthafte Gedanken darüber machen, was er mit dem gerade erworbenen Titel anfangen möchte.

Stefan Steinhoff, Steuerberater seit März 2008, berichtet im nachfolgenden Beitrag, wie er die ersten drei Berufsjahre als Steuerberater in einer leitenden Tätigkeit erlebte.

Die Ausgangslage

1. Persönliche Vorentscheidung
Schon vor der Anmeldung zum Steuerberaterexamen war mir klar, dass ich als Steuerberater früher oder später in die Selbständigkeit möchte. Dabei wollte ich weniger ein klassischer Einzelkämpfer werden, sondern vielmehr zusammen mit Freunden eine Kanzlei gründen oder mich an einer bestehenden Gesellschaft beteiligen. Und weil ich das bei meinem damaligen Arbeitgeber auch stets so kommuniziert hatte, wurde es während der Endphase meines Steuerberaterexamens spannend, denn ein von der Geschäftsleitung angeordnetes Gespräch über meine Rolle als potenzieller Steuerberater in unserer Kanzlei stand kurz nach Bekanntgabe der schriftlichen Note im Steuerberaterexamen 2007/2008 an.

2. Unternehmenssituation
Unsere Kanzlei war zu diesem Zeitpunkt mit fünf Steuerberatern und 15 Mitarbeitern fachlich und auf Führungsebene sehr stark besetzt. Mein Wissen hielt sich mit meiner erst zweijährigen Berufserfahrung noch in Grenzen, aber ich wusste auch um meine persönlichen Stärken und meinen ausgeprägten Willen, den Weg in die Selbständigkeit weiter zu beschreiten. Insofern war ich verhalten optimistisch, was meine Zukunft in unserem Unternehmen anging.

Zu Beginn des Jahres 2008 befand sich unsere Kanzlei in einer Umbruchphase und war inmitten einer strategischen Neuausrichtung. Nach einer rund zwanzigjährigen Marktpräsenz, in der unser Unternehmen von seinem Gründer von einer kleinen Steuer-Kanzlei mit einem Mitarbeiter zu einem 20 Personen umfassenden Unternehmen aufgebaut wurde, stellten die klassischen Kunden einer Gründungskanzlei – Privatpersonen und kleine Unternehmen – nicht mehr die gewünschte Zielgruppe dar. Die weiter voranschreitende Fokussierung auf betriebliche Großmandate ließ immer weniger Raum für die Betreuung des alten Mandantenstammes. Weil zu den meisten Mandanten jedoch eine sehr enge emotionale Bindung bestand, stellten sich die Altgesellschafter schon lange die Frage, was mit ihnen geschehen sollte. Bei Neukunden kann man dieses Dilemma durch Mandatsablehnung im Voraus vermeiden, doch was ist mit jenen, die seit Jahren Kunden des Unternehmens und eine kontinuierliche und persönliche Betreuung gewohnt waren?

3. Ausgliederung der Bestandsmandate
Da sowohl die klassische Niederlegung des Mandats als auch die konsequente Gebührenerhöhung nicht die Mittel der Wahl sein sollten, entschloss man sich im Laufe der Zeit, diese Mandanten in eine zweite Gesellschaft auszugliedern. Durch die Bündelung dieser Mandate in den Händen einiger weniger Personen, schlankere Arbeitsprozesse (ohne das für Großmandate nötige Qualitätsmanagement) sowie einer günstigeren Kostenstruktur erhoffte man sich eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung, ohne sich von diesen Mandanten trennen zu müssen. Wenn man einmal von den wirklich großen Einkommensteuermandanten absah, handelte es sich bei diesem Schritt letztendlich um die Trennung des Mandantenstammes in betriebliche und private Kunden. Und für genau diese zweite Gesellschaft wurde mir bei Bestehen des Examens die Geschäftsleitung angeboten.

An der zweiten Beratungsgesellschaft in Form einer GmbH sollten die damaligen drei Gesellschafter und ich zu gleichen Teilen beteiligt werden und das operative Geschäft mir obliegen. Um die Handlungsfähigkeit in Urlaubs- und Krankheitszeiten zu gewährleisten, sollte neben mir ein weiterer Altgesellschafter zum Geschäftsführer bestellt werden. Eine räumliche Trennung war nicht geplant, weil sich für die Mandanten nichts ändern sollte. Die Arbeitsleistung sollte durch mich und ein bis zwei Aushilfen erbracht werden.

4. Eckdaten der Ausgliederung
Insgesamt ging es bei der Ausgliederung um einen Mandantenstamm mit einem Umsatzvolumen von 150.000 Euro, wobei die neu zu gründende Gesellschaft der alten diesen Mandantenstamm abkaufen sollte. Üblicherweise liegt der Kaufpreis einer Steuerberatungskanzlei je nach Mandantenstamm zwischen dem 0,7- und dem 1,3-fachen des Jahresumsatzes. Im vorliegenden – und etwas speziellen Fall – einigte man sich jedoch auf den Faktor 0,5, weil es sich in der Mehrzahl um Einkommensteuerfälle und Einzelunternehmen mit kleineren Buchhaltungen und Lohnabrechnungen sowie Einnahmen-Überschussrechnungen handelte.

Zwar beinhaltete der Mandantenstamm auch Einkommensteuerfälle „größerer“ Mandanten sowie Personen- und Kapitalgesellschaften; hierbei handelte es sich jedoch um die Mandanten, die bereits vor meinem Steuerberaterexamen von mir betreut worden waren. Aus Praktikabilitätsgründen sollte und wollte ich diese weiterhin betreuen. Dies war mir persönlich auch besonders wichtig, weil ich nicht nur Einkommensteuermandate betreuen, sondern auch im Bereich der betrieblichen Mandate weiter beratend tätig sein wollte.

Nach Einzahlung der Stammeinlage in Höhe von 25.000 Euro sollte der Kauf durch ein Darlehen bei der ortsansässigen Sparkasse mit einer Darlehenssumme in Höhe von 75.000 Euro finanziert werden. Da die Gesellschaft ihrem Modell nach als Existenzgründung galt, konnte hierfür ein Existenzgründerdarlehen der KfW-Bank mit tilgungsfreien Anfangsjahren und moderatem Zinssatz in Anspruch genommen werden.

5. Das Für und Wider – und die Entscheidung
Nach Vorlage dieses Angebots war ich innerlich zunächst leicht aufgewühlt. Zwar war eine selbständige Tätigkeit genau das, was ich wollte, aber wenn der Zeitpunkt der Entscheidung schließlich gekommen ist, kann man das Gedankenkarussell eben doch nicht ohne Weiteres anhalten. So durchlebte ich in diesen Tagen eine Mischung aus Angst, Stolz und Abenteuerlust.

  • Angst, weil ich die Verantwortung spürte,
  • Stolz, weil man mir zutraute, dieses Unternehmen zu führen, und
  • Abenteuerlust, weil ich die Geschäftsidee als solche sehr spannend fand.

Anhand der vorgelegten Zahlen erstellte ich mir erst einmal in Ruhe eine Planungsrechnung mit Excel, indem ich verschiedene Verdienst-Szenarien durchspielte: Umsatzentwicklung, Anteil der Selbstverwaltung, durchschnittlicher Stundensatz sowie Anzahl der Mitarbeiter. Nach einigen Hochrechnungen, unruhigen Nächten und ehrlichen Gesprächen mit Freunden und meiner Familie konnte ich die Vielzahl meiner Gedanken auf einige wenige, entscheidende reduzieren:

  • Diese Art von Mandantenstamm ist nicht das, was man als Steuerberater sein Berufsleben lang betreuen möchte.
  • Der Verdienst ist nicht utopisch, aber um einiges höher als mein Angestelltengehalt.
  • Das Haftungsrisiko ist überschaubar und die Altberater stehen problemlos und jederzeit zur Verfügung.
  • Der Gewinn des Unternehmens fließt über eine Tantieme zu 50 % an mich.
  • Es ist eine gute Gelegenheit, um Geschäftsführerluft zu schnuppern.
  • Es ist zugleich eine einmalige Chance, um den Traum von der Selbständigkeit zu verwirklichen.

Ich zögerte nicht länger und nahm das Angebot an. Es war schon ein großartiges Gefühl, bei einem Notar zu sitzen und Anteile an einer GmbH zu erwerben und seine erste Geschäftsführerrolle übertragen zu bekommen.

Drei lehrreiche Jahre

Nachdem ich das mündliche Examen im März 2008 bestanden hatte und zeitnah von der hessischen Steuerberaterkammer zum Steuerberater bestellt wurde, konnte es zum 1. 4. 2008 tatsächlich losgehen. Voller Tatendrang ging ich ans Werk. Es stelle sich sehr schnell heraus, dass es wirklich sehr viel Arbeit war, die auf mich wartete.

1. Die ersten Schritte als Geschäftsführer

a) Neuland Gebühren
Das Projekt Geschäftsleitung begann ich damit, dass ich mir stichprobenartig die Gebühren der Vorjahre diverser Mandanten nebst dazugehörigen aufgelaufenen Stunden und Fallkonstellationen in einer riesigen Tabelle zusammenstellte, um ein Gefühl für Rechnungen zu bekommen. So konnte ich mit der Zeit erahnen, was eine einfache Steuerveranlagung kosten und wann ruhigen Gewissens etwas mehr abgerechnet werden darf. Hierin zeigte sich gleich in den ersten Wochen der große Unterschied zur bisherigen Tätigkeit: Da ich die Rechnungen fortan selbst unterschrieb, musste ich diese auch selbst verantworten können. „Einen Moment, ich stelle Sie durch zum Chef!“ gab es nicht mehr. So merkte ich schnell, dass ein Unterschied darin besteht, ob man eine Rechnung selbst unterschreibt, oder wenn man – wie früher – beim Besprechen der Rechnung mit dem Vorgesetzten für eine höhere Gebühr eintritt. Letzteres stand im Nachhinein betrachtet immer unter der recht einseitigen Betrachtungsweise, seine eigene Arbeit als möglichst wertvoll zu gewichten, während Ersteres nun unter Beachtung von weitaus mehr Gesichtspunkten erfolgte. Natürlich darf eine Leistung nicht unter Wert verkauft werden. Für einen Unternehmer ist es aber schließlich entscheidend, dass der Kunde im nächsten Jahr wieder kommt. Eine Rechnung nur deswegen in die Höhe zu schrauben, weil die Bearbeitung ein wenig länger gedauert hat, schied als Argument nunmehr aus. Ab sofort musste ich lernen, eine gerechte Gebühr zu finden, die unabhängig vom Mitarbeiter angemessen war. Das heißt es also, Unternehmer zu sein: die passende Balance zwischen Wertschätzung der eigenen Arbeit und angemessenem Verkaufspreis zu finden.

b) Zeitdruck programmiert
Neben dem Gefühl der gesteigerten Verantwortung gegenüber den Mandanten und dem eigenen Unternehmen stiegen anfangs auch die Arbeitszeiten enorm. Neben einer 40-Stunden Sachbearbeiter-Woche musste ich jetzt auch weitere Stunden für die Geschäftsleitung, Selbstverwaltung sowie Betreuung meiner ersten Mitarbeiterin investieren. Diese Stunden musste ich erst einmal zusätzlich einplanen, weil der eigene Umsatz unter der neuen Rolle natürlich nicht leiden durfte. So kamen zu den durchschnittlichen 50 Stunden unter der Woche unzählige Samstage und manchmal auch noch der dazugehörige Sonntag sowie die meisten Feier- und auch Brückentage. Weihnachten und Silvester 2008 habe ich im Büro verbracht, und meine Hochzeit im August 2008 hat meine Frau alleine organisiert. Selbst an meinem Junggesellenabschied saß ich bis zum offiziellen Start noch im Büro und arbeitete an einem komplizierten Fall. Die unglaubliche Summe von zwei Urlaubswochen im ersten Jahr ging komplett für eben jene Hochzeit, den Polterabend sowie eine Flitterwoche drauf. Und dass ich selbst diese bei einem Mandanten verbrachte, passt genau ins Bild.

2. Das erste Jahresendgeschäft unter eigener Verantwortung

a) Überlastung pur
Auch die erste Aushilfe konnte zunächst nichts daran ändern, dass ich schnell einen relativ großen Arbeitsrückstand von zwei Monaten hatte. Dieser Zustand war zwar in den ersten Monaten extrem motivierend, je näher aber der 31. 12. 2008 heranrückte, desto beunruhigender wurde diese Situation. Wenn man schon 30 offene Fälle auf dem Tisch oder – aus Platzgründen – im Schrank liegen hat, entschärft sich diese Lage durch ein beginnendes Jahresendgeschäft in aller Regel nicht wirklich. So legte ich mich aufgrund der Arbeitsbelastung im ersten Jahr mit meiner Arbeit schlafen und wachte mit dieser auch morgens wieder auf. Zwischenzeitlich fragte ich mich, wie ich zusätzlich all die Mandanten bearbeiten sollte, die noch gar nicht ihre Unterlagen vorbeigebracht hatten. So wandelte sich im Dezember 2008 die anfängliche Euphorie endgültig in Panik und ließ mich innerlich zum ersten Mal richtig nervös werden! Der Glaube, 150.000 Euro Umsatz im Bereich Einkommensteuer alleine mit einer Aushilfe stemmen zu können, entpuppte sich als fataler Trugschluss.

b) „Erste-Hilfe-Maßnahmen“ unvermeidlich
Da ich jedoch in der komfortablen Situation war, die alte Gesellschaft mit den übrigen Mitarbeitern zur Seite zu haben, konnte ich glücklicherweise auf diese zurückgreifen und mit Zustimmung der Altgesellschafter jedem dieser Mitarbeiter einige Fälle zur Bearbeitung geben. Insofern gelang es relativ rasch, den Rückstand innerhalb der ersten beiden Monate des Folgejahres aufzuarbeiten. Dennoch war mir diese Zeit eine Lehre und so stellte ich zu Beginn des Jahres 2009 eine zweite Aushilfe ein; und zwar eine Studentin, die schon seit ihrer Ausbildung für die alte Gesellschaft arbeitete und gerade an ihrer Diplomarbeit schrieb. Solch ein Jahresendgeschäft mit Liegezeiten von mehr als drei Monaten trotz vieler Überstunden wollte ich nicht noch einmal erleben.

3. Personalverantwortung – Umsicht ist gefragt

a) Bewerbungsgespräche gestalten
Nach meiner ersten eigenen Stellenausschreibung musste ich zunächst erstaunt feststellen, dass so etwas weit mehr Geld kostet als ich gedacht hätte: Eine kleine 10 auf 10 cm große und aussagkräftige Annonce kostet sehr schnell einen vierstelligen Betrag. Und dieses Geld ist kein Garant, dass sich auch tatsächlich geeignete Bewerber melden. Obwohl wir explizit eine/n Steuerfachangestellte/n suchten, bewarben sich zumeist Personen ohne jegliche Erfahrung im Bereich Steuern. Die Quote an brauchbaren Bewerbern lag allenfalls bei 10 bis 20 %, doch diese potenziellen Mitarbeiter luden wir einfach alle ein.

Im ersten Gespräch mit einer Bewerberin in der Rolle des Arbeitsplatzbietenden war ich sicherlich genauso nervös wie die Dame, die mir gegenüber saß. „Lass sie einfach mal reden!“ war meine Devise – und die sollte sich als richtig erweisen: So konnte ich mir ein Bild von der Bewerberin machen. Als Hilfe diente mir dabei ein öffentlich zugänglicher Leitfaden für Bewerbungsgespräche, in dem es zehn nichtfachliche Themenschwerpunkte gab. Durch Abarbeiten dieser Vorgaben ergaben sich immer wieder neue Gesprächsanstöße und interessante Einblicke in das Leben und die Denkweise der Bewerber. Als extrem hilfreich empfand ich in dieser Phase auch die ganze Palette von sozialen Netzwerken, weil ich viele Bewerber in diesen fand. Ich kann es bis heute kaum glauben, dass es tatsächlich Bewerber gibt, die im Internet mit ihren negativen Eigenschaften prahlen.

b) Ein Glücksgriff
Nachdem die ersten Gespräche zeigten, dass nicht alle Bewerber mit guten Unterlagen auch wirklich zu uns passten, fanden wir den geeigneten Kandidaten schließlich in jemandem, der sich im letzten Moment bewarb und die vergleichsweise schlechtesten Noten aller Bewerber hatte. Aber seine langjährige Berufserfahrung, sein Charakter und mein Bauchgefühl sagten mir, dass dieser Mitarbeiter genau der Richtige für uns war und bis heute ist. Zum 1. 7. 2009 konnte er anfangen, schon wenige Tage nach seiner Vorstellung. An das Bild, als er zu seinem ersten Arbeitstag die Treppen hoch zu uns in die Kanzlei kam, kann ich mich noch sehr genau erinnern. Dies unter anderem, weil ich damals noch – die unbegründete – Angst hatte, ihn nicht ständig mit Arbeit versorgen zu können.

c) Der erste große Fehler mit dem eigenen Personal
Im Eifer des ersten extrem arbeitsintensiven Jahresendgeschäftes musste ich dann auch lernen, was „Verantwortung tragen“ gegenüber den eigenen Mitarbeitern bedeutet. Im Glauben an die Dauerhaftigkeit dieser Arbeits(über)belastung sollte ich meiner Mitarbeiterin, die von der ersten Stunde an mit an Bord war, mit einem lapidaren Nebensatz leider nur scheinbar einen Gefallen tun.

Die Betreffende befand sich in Elternzeit und war ursprünglich in der alten Gesellschaft beschäftigt. Der Minijob in der zweiten Gesellschaft war ein willkommener Hinzuverdienst zum Elterngeld und Abwechslung zum anstrengenden Elterndasein. In naher Zukunft wollte auch sie wieder – wenn möglich – ganztags arbeiten. „Das bekommen wir schon hin!“ war meine gut gemeinte Aussage im Frühjahr 2009, die ich später aufrichtig bereuen sollte. Weil sich die Lösung mit zwei Aushilfen schon nach wenigen Monaten als nicht ausreichend herausstellte und abzusehen war, dass die zweite Aushilfe ihren Nebenjob wegen einer sich anbahnenden Festanstellung nicht für immer ausüben konnte, ging ich auf die Suche nach einem Vollzeitmitarbeiter. Meine erste Minijobberin konnte zu diesem Augenblick keine Vollzeitstelle annehmen, weil sie noch keinen Ganztagesbetreuungsplatz für ihre Tochter hatte.

Durch die neue Vollzeitkraft entspannte sich die Arbeitsbelastung zusehends und ich konnte meine vielen Überstunden auch endlich reduzieren. Das kam mir sehr gelegen, weil ich einige Monate später Vater eines Mädchens wurde. Und spätestens ab der Geburt meiner Tochter wollte ich definitiv nicht mehr so viele Stunden in der Kanzlei verbringen wie bisher. Ein Plan, der glücklicherweise aufging. Nicht realisieren ließ sich dagegen die Weiterbeschäftigung meiner ersten Angestellten. Als diese einige Monate später einen Ganztagesbetreuungsplatz für ihre Tochter hatte, konnte ich ihr die Anfang des Jahres durch meinen Nebensatz in Aussicht gestellte Vollzeitbeschäftigung nicht mehr bieten. Dass sie zwischenzeitlich aufgrund meiner Aussage einen Ganztagesplatz in einer Kindertagesstätte für ihre Tochter gebucht hatte und deshalb auf das Geld angewiesen war, machte die Sache zu einem zwischenmenschlichen Fiasko. Nach einigem Hin und Her trennte man sich einvernehmlich einige Zeit später. Mit dieser Aktion wurde mir aber bewusst, welche Bedeutung Aussagen eines Vorgesetzten haben können. Dass meine Mitarbeiterin sich damals nicht auf mich verlassen konnte, tut mir auch heute noch sehr Leid. Wie für sie war das auch für mich eine sehr bittere Erfahrung und ich schwor mir, nie wieder etwas zu versprechen, von dem ich nicht 100-prozentig wusste, dass ich es halten konnte.

4. Das eigene Unternehmen

a) Versuch macht klug
Eine wirklich gute Erfahrung in den letzten Jahren hingegen war, dass man sein eigenes Unternehmen als Probeobjekt für alle möglichen Beratungsanlässe benutzen kann. So richtete ich mir im Laufe der Jahre eine sehr abschlussnahe Buchhaltung mit einer sehr aussagekräftigen betriebswirtschaftlichen Auswertung ein, erstellte Planungsrechnungen und arbeitete mich in die erste eigene Kostenrechnung ein. Ich lernte und spürte am eigenen Leib, wie angefangene Arbeiten am Jahresende zu bewerten sind, insbesondere wenn sich dadurch eine Auswirkung auf meine eigene Tantieme ergab. Hier sprach auf der einen Seite das Teufelchen, meine angefangenen Arbeiten sehr hoch zu bewerten, weil sie den Gewinn und damit meine Tantieme erhöhen.

Auf der anderen Seite jedoch saß das Engelchen, weil die Liquidität für eine Tantiemeauszahlung noch lange nicht verdient war. Schlussendlich trafen sich die beiden in der gesunden Mitte. Durch diese Erfahrung kann ich jeden Mandanten verstehen, der Geld verdienen will, aber ich kann ihm mahnend vorhalten, dass er sich seine Tantieme auch auszahlen können muss. Durch das Ausprobieren verschiedener Dinge an meinem eigenen Unternehmen erwarb ich mir wertvolle Erkenntnisse, die mich in die glückliche Lage versetzte, andere in Beratungsgesprächen an meinen eigenen Erfahrungen teilhaben zu lassen und vor eventuellen Fehlern zu bewahren.

Weiterhin machte ich die – paradoxerweise – positive Erfahrung, dass eigene Fehler den größten Lerneffekt haben! So entschloss ich mich beispielsweise in Bezug auf das KfW-Darlehen zu einer Sondertilgung in Höhe einer kompletten Jahrestilgung, nur weil ich die nötige Liquidität hierfür nach einigen sehr ertragsreichen Monaten zur Verfügung hatte. Das erwies sich aber bereits ein halbes Jahr später als Bumerang, weil ein größerer Kunde seine Rechnung nicht zahlte und mein Kontostand dadurch beängstigend nahe an 0 Euro herabsank. Vorsorglich ließ ich mir einen Dispo-Kredit bei der Hausbank einrichten, was wirtschaftlich unsinnig war: Hier wurde ein Darlehen mit 4%-Zinssatz in einen 12%-Dispo-Zinssatz eingetauscht. Und weil ich anschließend monatelang jeden Tag mehrmals meinen Kontostand bei der Bank abrief und hochrechnete, ob das Geld für diesen Monat noch ausreicht, um Steuern, Sozialversicherungen und Gehälter zu zahlen, brannte sich die Lehre aus dieser Aktion tief in meinem Hirn ein: Keine frühzeitige Darlehenstilgung mehr, wenn nicht wirklich eine mehr als ausreichende Liquidität vorhanden ist.

In Zukunft würde ich das Geld auf einem Tagesgeldkonto arbeiten lassen. So hätte ich die Gewissheit, dass die Mittel zur Tilgung zwar vorhanden sind, aber in Krisensituationen für andere Zwecke genutzt werden können. Diese Erkenntnis konnte ich mit guter Überzeugungsarbeit an einige Mandanten weitergeben und sie erfolgreich davon abhalten, ihre Darlehen frühzeitig zu tilgen, nur weil sie außerordentlich gute Monate hinter sich hatten.

b) Investitionen in eigene Mitarbeiter
Am eigenen Leib erfuhr ich auch, was es damit auf sich hat, in eigene Mitarbeiter investieren zu müssen. Oben erwähnte ich bereits, dass ich mir eine Vollzeitkraft einstellte, die schon viele Jahre Berufserfahrung vorweisen konnte. Nach der Einarbeitungsphase, einigen Seminaren und einer genehmigten Abwesenheit von zwei Wochen stand in der Kostenrechnung nach den ersten drei Tätigkeitsmonaten ein negativer Saldo von 15.000 Euro. Für einen kleinen Betrieb ist das eine Summe, die erst einmal gestemmt sein will. Wenn man diesen Betrieb und das zugehörige Geld als sein eigenes bezeichnet, löst der Blick auf die Kostenrechnung zunächst Schmerzen aus. Zum Glück wendete sich auch das ins Gegenteil.

5. Mandantenerfahrungen

a) Geduld und Durchsetzungsvermögen
Auch mit den Mandanten gab es im Verlauf der vergangenen drei Jahre sehr schöne, aber auch sehr schmerzhafte Erfahrungen. Schmerzhaft deshalb, weil man feststellen muss, dass es trotz der vertrauensvollen Nähe, die das Verhältnis eines Steuerberaters zu seinen Mandanten auszeichnet, immer wieder zu Missverständnissen kommt. Der Glaube, dass ein Steuerberater im Geld schwimmt und monatelang auf sein Geld warten kann, ist in einigen Köpfen offenbar fest verankert. Ebenfalls gibt es immer wieder Fälle, bei denen mit der Bezahlung der Rechnung ohne Absprache, aber dafür umso selbstverständlicher so lange gewartet wird, bis der Steuerbescheid und das Geld endlich da sind. Erinnert man diese Mandanten mit einer Mahnung an die ausstehende Rechnung, erhält man zumeist völlig verdutzte Reaktionen. Und zu guter Letzt musste auch ich einsehen, dass es Kunden gibt, die Leistungen nur kostenlos in Anspruch nehmen möchten. Im Gegensatz zu den beiden ersten Punkten hilft bei diesen Mandanten nur ein konsequentes Mahnwesen und anschließend auch der Gang zu einem Rechtsanwalt. Schmerzt die erste gerichtliche Auseinandersetzung noch ein wenig, gewöhnt man sich im Laufe der Zeit daran, dass es auch in unserer Branche immer wieder Fälle gibt, in denen es ohne juristische Auseinandersetzungen einfach nicht geht. Insofern bin ich in den letzten drei Jahren etwas ernüchtert und nach der ersten Euphorie wieder auf dem (gelegentlich harten) Boden der Tatsachen angelangt.

b) Ermutigende Ergebnisse
Aber es gab auch sehr viele positive Erfahrungen mit meinen Mandanten. So zeigen sich immer noch sehr viele Menschen äußerst dankbar, wenn man ihnen einen steuerlichen Sachverhalt in einfachen Worten erklären kann oder ihnen einfach nur die Last der Einkommensteuererklärung abnimmt.

Als besonders befriedigend habe ich es empfunden, beim Aufbau des Unternehmens eines Mandanten mitgewirkt zu haben, welches mittlerweile 40 Arbeitnehmer beschäftigt. Zwar habe ich dieses Unternehmen nicht selbst gestaltet, aber als ständiger Berater konnte ich dieser Firma von seiner ersten Stunde an beratend zur Seite stehen und dessen erfolgreiche Entwicklung mitgestalten. So verfügt das Unternehmen beispielsweise über eine sehr abschlussnahe Buchhaltung, die dem Mandanten jeden Monat detaillierte Informationen über seine augenblickliche betriebswirtschaftliche Situation liefert. Das Gefühl, dem Mandanten bei seinen Entscheidungen beigestanden und ihm steuerliche Fragestellungen abgenommen zu haben, lässt gelegentlich durchaus stolz werden.

c) Schöne Erlebnisse – eine glückliche Begegnung
Die schönste aller Erfahrungen war aber die, die ich eines Donnerstagabends völlig überraschend machte: In einem vermeintlich gewöhnlichen Beratungsgespräch stellte sich heraus, dass mir gegenüber der ehemalige Musikproduzent des Lieblingsmusikers meiner Jugend saß. „Das bin dann wohl ich!“ sagte dieser, nachdem ich zaghaft anmerkte, dass ich einen Musikproduzenten gleichen Namens kenne. Ich konnte mein Glück gar nicht fassen! Das Beratungsgespräch dauerte an diesem Abend erfreulicherweise ein wenig länger, denn wir hatten uns viel zu erzählen. Aus diesem Aufeinandertreffen sind eine Freundschaft und einige spannende nebenberufliche Projekte entstanden, die mir den beruflichen Alltag regelmäßig versüßen. Weil solche Dinge häufiger passieren, kann ich für mich festhalten, dass dies der positivste Aspekt meiner selbständigen Tätigkeit ist: Das Treffen vieler Menschen mit all ihren unterschiedlichen Geschichten. Gerade wenn man selbständig ist, kann man diese Begegnungen und deren Entwicklung ein wenig steuern und arbeitet insofern regelmäßig mit den Menschen zusammen, mit denen man auch wirklich zusammenarbeiten will. Das lässt mich persönlich über manches hinwegsehen und diesen Beruf trotz der sich ergebenden Belastungen wirklich gern ausüben.

Fazit

Nach mittlerweile drei Jahren an der „steuerlichen Front“ kann ich auf eine sehr lehrreiche Zeit zurückblicken: Das waren aus fachlicher, vor allem aber aus menschlicher Sicht eindeutig die interessantesten Jahre meines bisherigen Lebens. Nur wenn man als Entscheidungsträger zur Übernahme der vollen Verantwortung für sein eigenes Handeln gezwungen ist, spürt man die Reaktionen auf dieses Handeln in ihrem ganzen Ausmaß. Das gilt für die positiven, vor allen Dingen aber für die negativen Erfahrungen. Letztere waren es, die einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen haben und aus denen ich sehr viel für die Zukunft mitnehmen konnte.

Die Befürchtung, dass mich der vorhandene Mandantenstamm fachlich nicht voranbringen wird, weil es überwiegend Einkommensteuermandanten sind, hat sich nicht bewahrheitet. Zum jetzigen Zeitpunkt wird jedes neue Einkommensteuermandat mit mir verbunden, ich habe meine erste Klage vor einem Finanzgericht zusammen mit meinem erfahrenen Altgesellschafter und Mitgeschäftsführer betreut, ein Steuerstrafverfahren einer Mandantin begleitet und die ein oder andere heikle Betriebsprüfung meiner betrieblichen Mandanten erlebt. Diesen Erfahrungsschatz kann mir keiner nehmen. Zwar wünsche ich mir nach wie vor mehr betriebliche Mandate, aber ich bereue keinen einzigen Tag meiner Tätigkeit der letzten drei Jahre. Das Projekt „Geschäftsführer einer kleinen Schwestergesellschaft“ würde ich nach meinen heutigen Erfahrungen gern wieder übernehmen.